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Qualitätsmanagement – warum eigentlich?

Nach dem zweiten Weltkrieg gehörte die Zahnärzteschaft zu den ersten Berufsgruppen, die wirtschaftlich von dem immensen Wachstum in der Bundesrepublik Deutschland profitierten. Die Prinzipien des auf Lassalle und Bismarck zurückgehenden Krankenkassensystems wurden übernommen und bis in die späten 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts auch im zahnmedizinischen Bereich immer weiter ausgedehnt. In der Folge entstand ein hoher Versorgungsstandard der gesamten Bevölkerung. Das gesellschaftliche Ansehen der Zahnärzteschaft war hoch.

Bei guten wirtschaftlichen Bedingungen, auch durch die Sicherheit der teilweise 100%igen Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenkassen, strebt bis heute eine kontinuierlich wachsende Zahl an Kollegen in diesen Beruf. Die Zahnarztdichte ist in Deutschland inzwischen die größte der Welt (1/1000). Der „Spielraum“, den Diagnosen bei der Behandlungsplanung zulassen, ermöglicht dem Arzt, Einfluss auf die eigene Auslastung zu nehmen. 80% der zahnärztlichen Tätigkeit muss als „re-dentistry“ bezeichnet werden. Das sind Wiederholungen vorher nicht erfolgreicher, zahnärztlicher Maßnahmen. Erfolgreiche zahnärztliche Prophylaxe und Zahnerhaltungsmaßnahmen einerseits und die alternde Gesellschaft andererseits haben zusätzlich zu einem erheblichen Anwachsen notwendiger zahnärztlicher Behandlungen geführt.

Jedoch stießen die Kosten für die Therapie an Grenzen.

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Unangemessen hohe Einkommen einzelner Kollegen wurden schon in den 70er Jahren auffällig. In den Medien verbreitete Zweifel an der guten Qualität der deutschen Zahnmedizin („Mist raus, Mist rein“) bewirkte später dann ein sinkendes gesellschaftliches Ansehen.

Zunächst wurde auf Einschränkungen des Leistungskataloges verzichtet. Mit Budgetierungen und Honorarkürzungen wurde dann ein wirtschaftlicher Druck auf die Ärzteschaft ausgeübt, der auch zu Qualitätsverlusten bei den Behandlungen führte.

Heute bestehen Kassenabhängigkeit, Massenproduktion zahnärztlicher Leistungen bescheidenster Qualität, hohe allgemeine Kosten, schlechte orale Gesundheit, ethischer Bankrott der Zahnärzteschaft und in Kürze der wirtschaftliche Kollaps des ältesten Sozialversicherungssystems der Welt.

Bei prozentual kaum noch zu erhöhenden zahnmedizinischen Ausgaben bleibt ohne Gefährdung des freien Unternehmertums nur die Reduktion der therapeutischen Bedürfnisse durch effizientere Prävention oraler Erkrankungen, um bei den notwendigen Einzelleistungen die Forderung nach Kostendeckung und Qualität erfüllen zu können.

Bereits am Ende der 80er Jahre fand sich nach einer zahnärztlichen Fortbildung in Hamburg eine Gruppe von Kollegen zusammen, die primär das schlechte Ansehen des Berufsstandes beklagten. Mit der fachlichen Hilfe eines Kommunikationstrainers analysierten wir das Erscheinungsbild der Zahnärzteschaft in der Öffentlichkeit. Es wurde deutlich, dass die Sicherung der Qualität zahnärztlicher Leistungen die entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit war. Leider wurde dieser zukunftsweisende Ansatz damals von den Berufsverbänden nicht aufgegriffen.

Die Überzeugung, dass man die Höhe der Honorare nicht nur durch mündliche Qualitätsversprechen rechtfertigen kann, sondern diese auch, wo möglich, belegen sollte, wurde dann später von der Privatzahnärztlichen Vereinigung Hamburgs (P.Z.H.) aufgegriffen. Fünf der Mitgliedspraxen initiierten 2003 mehrere Workshops, um ein an der DIN EN ISO 9001 orientiertes Qualitätsmanagement-System (QMS) in ihren Praxen zu installieren. Zusätzlich sollten fachliche Standards eingearbeitet werden, die auch die Umsetzung wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse innerhalb des QMS gewährleisten sollen.

Mit der abschließenden Zertifizierung kommen diese Bemühungen zu einem vorläufigen Abschluss. Das Besondere eines „lebenden“ QM-Systems ist jedoch das kontinuierliche Weiterarbeiten des gesamten Praxisteams an diesem System. Zusätzlich wäre eine Umsetzung dieses Konzeptes auch durch andere Praxen wünschenswert.

Zusammen mit der zahnärztlichen Prophylaxe würde ein QMS die Zahl der notwendigen Therapien und die Kosten langfristig reduzieren – und wäre damit im Sinne aller Patienten.

Warum ist die Einbindung von fachlichen Standards in unser QMS etwas Besonderes in der deutschen Zahnmedizin?

„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ (Kant, der kategorische Imperativ)

Bereits zu Beginn der Beschäftigung mit der Übertragung der Industrienorm ISO 9000 auf die ambulante Zahnarztpraxis zeigte sich ihr wesentlicher und auch demotivierender Mangel: Die alleinige Beschäftigung mit der Prozessqualität beeinflusst die Behandlungsqualität nur in begrenztem Maße. Die Diskussion hierüber in der fachlich sicher herausragenden Gruppe der Hamburger Privatzahnärzte machte aber auch deutlich, wie unterschiedlich die Kollegen ihre eigenen Schlüsse aus Fachliteratur und Fortbildungen ziehen und in den eigenen Behandlungskonzepten umsetzten. Mit dem Versuch, sich auf einheitliche, für alle verbindliche Behandlungsrichtlinien zu einigen, war die Gruppe überfordert. Der Verzicht darauf nahm aber vielen Kollegen die sinngebende Motivation, das Projekt überhaupt weiterzuverfolgen.

Bei der Übersetzung der ISO 9000 auf eine Arztpraxis reicht das Austauschen des Begriffs „Kunde“ durch „Patient“ nicht aus, um der Besonderheit des Arztberufes an dieser Stelle Rechnung zu tragen. Die Umsetzung der mittlerweile vorhandenen gesetzlichen Verpflichtung zur Qualitätssicherung durch professionelle externe Trainer und Zertifizierer wird aber kaum mehr leisten können.

Es ist meine Überzeugung, dass eine hohe Prozessqualität oder ein hoher Organisationsgrad einer Zahnarztpraxis die Voraussetzung für ein gutes Behandlungsergebnis darstellen. Darüber hinaus wird die Bedeutung der manuellen Geschicklichkeit des Arztes vielfach überschätzt. Die fachliche Kompetenz und ihr Erhalt auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft scheinen da wichtiger zu sein. Die überragende Bedeutung für die Qualität der Behandlung von Patienten hat jedoch die ethisch-moralische Integrität des Arztes – wem nützt es, wenn man eine tolle Rennbahn hat und einen starken Wagen, der Fahrer aber (wenn das Wartezimmer voll ist oder der finanzielle Druck steigt) die vielen vorhandenen PS nicht mehr auf die Straße bringt? Insofern unterscheidet sich die Arztpraxis von jedem anderen Dienst-Leistungs-Unternehmen, das nur durch das Streben nach Überschüssen oder Anerkennung allein definiert sein könnte.

Integrität ist nicht messbar. Ohne fachliche Zielvorgaben bleibt Integrität aber orientierungslos. Unabhängig davon bereiten orientierungslose Patienten, die ihr Vertrauen in die wissenschaftliche Zahnmedizin verloren haben, Scharlatanen ein weites Betätigungsfeld.

Der von deutschen Hochschullehrern häufig bemühte Hinweis auf die „Regeln der Kunst“ ist sehr vage und lässt viele Interpretationsmöglichkeiten zu. Eine für die klinischen Behandlungen sehr wünschenswerte Orientierung an greifbaren, einheitlichen Normen, Standards oder Leitlinien, die von der Bundeszahnärztekammer oder der Hochschullehrerkonferenz in Übereinstimmung erarbeitet sein könnte, gibt es in Deutschland nicht. Während man sich bereits in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Großbritannien auf fachliche Standards einigte, initiierte die Schweizerische Zahnärztegesellschaft (SSO) im Jahr 2000 in Basel eine Konsensus-Konferenz, um fachliche Leitlinien in der Zahnmedizin zu definieren. Das resultierende Handbuch ist hierzu z.Zt. das aktuellste in Europa und, da auf Deutsch veröffentlicht, geeignet, die Grundlage einer fachlichen Orientierung für Zahnärzte auch in Deutschland zu bilden. Notwendige Ergänzungen oder Änderungen werden als solche gekennzeichnet und begründet.

Die Einbindung fachlicher Qualitätsleitlinien in das QMS einer Zahnarztpraxis ist bisher neu. Sie macht dieses Kapitel zum zentralen Kern dieses Handbuchs.

Als Team leben wir Qualitätsmanagement tagtäglich. Was uns sonst noch wichtig ist. »